Die ersten Schritte in himmlischen Gefilden
Kapitel 1
Wer auch immer ihr mal erzählt hatte, dass sterben nicht wehtut, der hatte glatt gelogen.
Mika hielt sich den Kopf und versuchte zu realisieren was gerade passiert war. Hatte es geklappt? War sie tatsächlich tot?
Es war nicht so, dass der junge Husky das Leben nicht zu schätzen gewusst gehabt hätte. Immerhin war sie lange genug auf der Erde herumgelaufen und hatte sich vieles angesehn und ihr war durchaus bewusst, dass das Leben für viele ein wertvolles Geschenk war. Es hatte halt einfach nur nicht zu ihr gepasst.
Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie schon immer auch mit anderen gesprochen – andere die immer als Hirngespinste abgetan worden waren.
“Ich kann sie nicht sehen, also sind sie nur in deinem Kopf.”
Das hatte ihr schon immer missfallen dass man sie kategorisch als aufmerksamkeitssuchende Lügnerin hingestellt hatte, schon im Kindergarten. Dabei war das eine katastrophale Fehleinschätzung gewesen – wenn man mehr Leute um einen rumhat als die andren, braucht man nicht nach Aufmerksamkeit heischen, denn man hat sowieso mehr als die anderen je bekommen.
Erst viel später hatte sie gelernt, dass sie die “Begabung” hatte, Geister, Engel, Dämonen und was da sonst noch an Geistwesen durch die Gegend schwirrte, nicht nur zu sehen, sondern auch zu fühlen. Während die anderen Kinder einfach durch die Geister hindurch gingen, war es Mika nicht möglich gewesen – für sie waren die Geister genauso echt gewesen wie die Lebenden. Was hatten die anderen Kinder und auch die Erwachsenen sie belächelt und teils auch ausgeschimpft wenn sie wieder einen Schlenker gemacht hatte um nicht in einen der Geister hinein zu laufen.
Auch wenn sie sich mit ihrem Schutzengel unterhalten hatte, hatten die anderen Kinder sie immer ausgelacht – die Erwachsenen hatten davon gesprochen dass sie eben ein Träumerle sei und wohl als Einzelkind sehr einsam sein müsse, wenn sie auch noch im Schulalter Fantasiefreunde hatte.
Da die Hänseleien nie aufgehört hatten, sondern immer schlimmer geworden waren und teilweise auch in tätliche Angriffe ausgeartet waren, hatte Mika es einfach nicht mehr ausgehalten.
Ihre Mutter hatte ihr sowieso nie geglaubt und immer gesagt dass sie sich eben anpassen müsse und der Rest der Familie hatte nie groß zusammen gehalten – da würde es auch nichts ausmachen wenn sie nicht mehr da wäre.
Und so hatte sie einen verwegenen Plan gefasst. Schulausflug. Oh wie sehr sie es hasste mit ihren Schulkameraden unterwegs sein zu müssen! Eingesperrt in einen Zug, überwacht nur von einer Lehrkraft, und wenn die grad nicht hinsah, war sie Freiwild für ihre Mitschüler. Aber an diesem Tag würde es das letzte Mal gewesen sein.
Alle waren sie am Bahnsteig gestanden, die Ermahnungen der Lehrkraft im Ohr, nicht zu nah an die Bahnsteigkante zu gehen, immerhin hielten nicht alle Züge hier sondern fuhren auch direkt durch – da konnte der Fahrtwind einen schonmal mitreißen und zu Boden werfen.
Genau darauf hatte sie es abgesehen gehabt. Den nächsten Schnellzug abgepasst, hatte sie genau zwischen den verhassten Mitschülerinnen gestanden, die mal wieder lästerten und den Mitschülern, die einfach nicht ruhig stehen bleiben konnten und sich gegenseitig schubsen mussten. Perfekte Tarnung, einen von denen würde die Strafe dann schon treffen. Am besten alle, aber das war wahrscheinlich nicht möglich.
Da kam er der Zug. Nur noch die rechte Zeit abwarten, bis der Zug auf jeden Fall nicht mehr bremsen konnte und dann nur noch ein kleiner Sprung und die Quälerei war vorbei.
Das hatte sie sich zumindest so gedacht, jedoch tat ihr Körper auch nach dem Tod noch ganz schön weh. Sie schüttelte den Kopf und versuchte etwas zu erkennen.
Jedoch reines weiß um sie herum. Nichts von dem was ihr Schutzengel ihr immer über die himmlischen Gefilde berichtet hatte.
Keine lebendige Stadt in der alle möglichen Arten von Engeln lebten. Keine himmlischen Gerüche, keine himmlischen Klänge, kein gar nichts. Einfach nur reines weiß um sie herum. War sie irgendwo eventuell falsch abgebogen?
Sie rappelte sich langsam auf und versuchte sich zu erinnern. Was hatte ihr Schutzengel über den Tod erzählt? Dass man von Todesengeln hinüber geleitet wurde? Dann müssten jetzt doch auch welche da sein, oder irrte sie sich da?
“Hallo? Ist da wer?”
Nichts. Nur unwirkliche Stille.
“HAAAALLLLOOOO?!”
Endlich tat sich was – jedoch nicht das, was sie gehofft hatte. Als würde man Papierwände beiseite schieben verschwand das weiß und sie fand sich in einer unwirklich friedlichen Umgebung wieder. umgeben von wogendem Gras, Felder wohin sie nur sah, hier und dort ein Baum und am Himmel wurden Wolken vom Wind mal in die eine, dann in die andre Richtung geschoben.
“Eh… Hallo?”
“Hallo!”
Mikas Augen wurden groß und sie wandte sich um.
Hinter ihr auf einem Stein saß ein Wolf. Komplett dunkelgrau, nur die Hände und Arme in einem helleren grau. Lässig saß er da, auf einem Stein, der genug Platz bot, dass sich dort noch zwei seiner Sorte hinsetzen hätten können, im bequemen grünen Shirt und einer dunklen Jeans.
Das ganze wirkte so surreal normal dass Mika blinzelte und nach Luft schnappte.
Der Wolf lachte bei ihrem Anblick und lächelte freundlich. Wenn er erstaunt darüber war den Teenager hier zu treffen, dann ließ er es sich auf jeden Fall nicht anmerken.
Er nahm das junge Mädchen vor ihm in Augenschein. Wie alt mochte sie sein? Vielleicht 15 oder 16 Jahre? Wache blaue Augen hatte sie und von dem was er sah nichts ungewöhnliches an sich. Typischer Husky, mehr weiß als schwarz und zwischen dem weißen und schwarzen Fell noch ein dünner Strich grau.
Gekleidet als würde sie gerade aus einem Kampfgebiet kommen. Schwarze Kampfhose, T-Shirt im Militärmuster und eine Erkennungsmarke um den Hals.
“Bist du nicht etwas zu jung um im Krieg zu sterben?” fragte der Wolf höflich und holte Mika ins hier und jetzt zurück. Wo auch immer das sein mochte.
“Oh, ich trag die Klamotten nur weil sie mir gefallen, nicht weil ich im Militär bin oder so.”
Ein scheues Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht und der Wolf blinzelte.
“Ah, dann bist du wahrscheinlich in einem Unfall gestorben?” wollte er wissen. Das war das, was ihm als nächstes in den Sinn gekommen war.
“Nicht ganz…” zögerte Mika. “Ein Unfall war es nicht wirklich… Vor den Zug bin ich schon mit Absicht gehüpft.”
Dem Wolf klappte die Kinnlade nach unten. Eine Selbstmörderin? Wie landete die denn hier? “Also, nicht dass wir uns falsch verstehen. Ich bin keines von diesen Emo Kindern, die alles so furchtbar finden und sich deswegen die Pulsadern aufschneiden. Ich hab nur keinen Sinn im Leben auf der Erde gesehen und beschlossen, dass ich mich als Engel wesentlich besser eigne.”
Wäre es möglich gewesen wäre die Kinnlade des Wolfes jetzt ganz nach unten geklappt. DAS hatte es bestimmt noch nie gegeben. Jemand der freiwillig aus dem Leben schied um Engel zu werden.
“Hab ich alles richtig gemacht? Ist das hier der Himmel?” fragte das Mädchen ihn und er musste sich erstmal einen Moment sammeln bevor er in der Lage war zu antworten. Hier von richtig oder falsch zu sprechen widerstrebte ihm. Konnte man denn den Tod als “richtig” betrachten?
“Also du bist auf jeden Fall tot wenn du hier bist. Allerdings der Himmel ist das hier nicht.”
“Ach verdammt!” fluchte der junge Husky. “Also doch irgendwo falsch abgebogen!”
Das erklärte was sie hier so Mutterseelenallein machte – ohne Begleitung. Bestimmt hatte keiner damit gerechnet dass sie ernst machte und auch ihr Schutzengel hatte sie im Schock aus den Augen verloren.
“Und wo bin ich hier?”
Nun wie beschrieb man das hier am besten?
“Ist das hier das Jenseits?”
“Na ja… Irgendwie schon.” der Wolf rang um Worte. “Es ist ein Teil des Jenseits. Eine freie Zone in der sich eigentlich keiner aufhalten sollte.”
Mika nickte. “Ah ja, eure “Friedenszone.” Hier treffen sich also Engel und Dämonen wenn man was wichtiges debattieren muss und währenddessen Frieden herrschen muss.”
Der Wolf wollte gerade fragen woher sie das wüsste, als er von einer ihm bekannten Stimme unterbrochen wurde.
“Brian? Was zum Teufel tust du hier?”
“Andy?!” erscholl es aus 2 Kehlen gleichzeitig. Während Mika hocherfreut war, ihren Schutzengel wieder zu sehen, war Brian alles andre als begeistert.
“Ihr habt da jemanden verloren. Ich war so freundlich nachzusehen was jemand hier macht und ob ich helfen kann.” knurrte der Wolf unwirsch.
Andy seufzte. “Hättest du denn nicht nen Moment warten können, junge Dame? Einfach so vor den Zug zu springen hätte jetzt echt nicht sein müssen! Wenn du wirklich Engel werden willst, hätten wir auch eine andre Lösung gefunden.”
Mika schnaubte empört und verdrehte die Augen, während Brian seinen formaligen Widersacher musterte. Da war der graue Husky also all die Jahre gewesen. Ein Schutzengel!
“Ja klar. Ich kenn die Lösung schon. Warten bis ich irgendwann mal an Altersschwäche sterbe oder bis mich einer meiner Klassenkameraden tatsächlich mal umbringt anstatt immer nur damit zu drohen. Super Lösung! Vor allem das mit der Altersschwäche, wenn meine Mutter mich mit nem Kerl verheiratet hat weil sie unbedingt Enkel haben will. Ich dachte ich bin selbstbestimmt und Engel können einem nichts vorschreiben? Es war mein Leben und damit konnte ich anstellen was ich wollte!”
Brian lachte lauthals. “Typischer Teenager. Sorry dass dus nicht weiter geschafft hast, Andy. Aber wie heists so schön? Sie durch diese Jahre zu bringen ist das stressigste was ein Schutzengel mitmachen muss.”
Andy knurrte. Es war ihm gar nicht Recht dass Brian das mitbekommen hatte. Von allen Dämonen dies es gab musste Mika ausgerechnet auf ihn treffen.
“Ist ja schon gut, ich bin dann mal weg.” Brian stand auf und warf dem Mädchen noch ein gewinnendes Lächeln zu. “Wenns dir im Himmel zu langweilig wird, kannst du gern mal bei mir in der Hölle vorbeischauen!” er zwinkerte ihr zu und war im nächsten Moment auch schon verschwunden.
“Das… Das war ein Dämon?” fragte Mika fasziniert.
Andy nickte. “Der ist aber nur halb so cool wie er immer tut.” er versuchte sich zu beruhigen. “Komm mit. Hier kannst du zum einen nicht bleiben, und zum andren wird hier bestimmt kein Engel aus dir.” er streckte die Hand aus, die Mika freudestrahlend ergriff. Fröhlich begann sie zur Melodie ihres aktuellen Lieblingsliedes zu singen. “Ich werd ein Engel, ein richtiger Engel!” sie lachte glücklich. „Engelsflügel und Heiligenschein, ich komme!”