Sam erinnerte sich noch genau an die Diskussion, die er mit Lana gehabt hatte. “Ja, aber nur weil die EM eine Fahrsportklasse anbietet heißt das doch nicht, dass ich teilnehmen muss!” hatte er ganz entsetzt gesagt als ihm seine neue Chefin einen Tag nach ihrer Ernennung Banhams Führstrick in die Hand gedrückt und ihm gezeigt hatte, dass sie ihn bereits für das Kegelfahren eingetragen hatte. “Da du der einzige auf dem Hof bist der eine Kutsche fahren kann – doch.” Sam hatte ihr mit großen Augen hinterher gesehen, als sie davon spaziert war und hatte nur den Kopf schütteln können. Im Gegensatz zu Codo nahm Lana die Rivalität zum Stall Bocholtz ernst und sah es nicht ein, sich von den Reitern von dort unterbuttern zu lassen. Wenngleich ihr Platzierungen bei diesem unterfangen recht egal waren. “Ich will nicht lauter erste Plätze sehen. Ich will dass wir uns zeigen, dass wir an Turnieren teilnehmen. Ich will den arroganten Schnöseln zeigen, dass sie sich warm einpacken können. Und denkt immer daran: Auch negative Schlagzeilen sind immerhin Schlagzeilen!”
Woher der plötzliche Elan kam, den Stall der sich schon seit Jahren als Rivale zum Mühlenhof bezeichnete und nicht müde wurde mit ihren Erfolgen nicht nur auf ihre Internetseite und in den sozialen Medien anzugeben, nun in seine Schranken zu weisen, das war Sam unklar. Ob es daran lag dass Lana die ständigen Mails mit Zeitungsartikeln und Siegerlisten zum Hals raus hingen oder ob sie einfach eine neue Aufgabe brauchte – der plötzliche Enthusiasmus ging Sam auf die Nerven.
Aber es half alles nichts, Lana hatte darauf bestanden die beiden Kaltblüter zur Fahrprüfung anzumelden. Ausgerechnet die beiden Kaltblüter! Sam sah in die Boxen in denen die beiden gerade noch gemütlich ihr Heu mampfen bevor es gleich zum aufwärmen raus gehen würde. Nie im Leben hätte er geglaubt mal mit den beiden zu einem Fahrtunier anzutreten. Für ihn waren Kaltblüter viel zu ruhig und viel zu gemütlich um sich in einer Prüfung zu behaupten in der es um Geschwindigkeit ging, aber die beiden hatten ihm mit Freude das Gegenteil bewiesen. Auch wenn die beiden es nicht zu einer Meisterschaft schaffen würden, für ein paar einfach Turniere waren beide gut genug trainiert und sowohl Banham als auch Iris waren schon im Training Feuer und Flamme gewesen.
Brav hatten sie sich auch in bester Gesundheit beim Tierarzt präsentiert, der keinerlei Bedenken gehabt hatte die beiden Pferde antreten zu lassen. Jetzt lag es nur noch an Sam, der nervöser war als er es hätte sein müssen. Verdammt was war denn mit ihm los? ER war doch schon einige Turniere geritten! Geritten, das war das Stichwort. Reiten war etwas anderes als Fahren.
Abgesehen davon dass er nicht direkt auf die Pferde einwirken konnte, wie er es vom reiten gewohnt war, saß er auch noch auf einem Kutschbock und hatte nicht nur Verantwortung dafür dass er die Wendungen nicht zu eng nahm, dass die Kutsche nicht kippte – auch hatte er noch einen Helfer hinten auf der Kutsche drauf, der sich mit ihm in die Kurven legte, um schneller herum zu kommen. Auch dem durfte nichts passieren, nicht durch eine mögliche Unachtsamkeit Sams zumindest.
“Komm schon, Zeit die Pferde aufzuwärmen!” Erneut drückte Lana ihm einen Strick in die Hand. Von allen Leuten auf dem Mühlenhof, hatte es ausgerechnet Lana als Beifahrerin sein müssen? In ihren Augen auf jeden Fall, sie sah das Ganze als Abenteuer, dass sie unbedingt ausprobieren musste. Seufzend trottete Sam ihr hinterher zum aufwärmen.
Lustlos longierte er Iris, die brav ihre Runden um ihn herum lief, sich größte Mühe gab alles richtig zu machen. Nein, das war nicht fair dem Pferd gegenüber, das sich ganz offensichtlich freute und sich so viel Mühe gab. So sehr ihm die Situation auch missfiel, er musste sich zusammenreißen. Dem Pferd zuliebe. Und vielleicht, wenn alles gut lief, kam Lana ja auf den Geschmack und würde von nun an selber Kutsche fahren? Er musste es zumindest versuchen, ihr diese Disziplin schmackhaft zu machen.
Das bedeutete aber auch sie direkt schon beim einspannen mitzunehmen. “Kannst du das nicht alleine?” fragte Lana, nicht sonderlich begeistert. “Hey, du wolltest dass ich hier antrete, du bist Beifahrer. Wenn du schon mit dabei bist, dann wirds auch Zeit dass du dich nicht nur mit Sätteln, sondern auch mit Geschirren auskennen lernst!” Da war Sam ohne Erbarmen. Da sie noch genug Zeit hatten spannte er die beiden Kaltblüter sogar nochmal aus und lies Lana die beiden alleine anspannen. Streng kontrollierte er den Versuch seiner unfreiwilligen Schülerin und musste lächeln als er sah wie sie grummelig um die Kutsche rumging, auf seine Anweisung hin kontrollierend ob die Kutsche irgendwelche Probleme hatte. “Alles abfahrbereit.” murrte sie und sah nach draußen in den Regen. “Hätt ich das eher gewusst, hätte ich mir das mit der Anmeldung fürs Hindernisfahren nochmal überlegt.” grummelte sie und Sam schwang sich lachend auf den Kutschbock. “Nein, das hättest du nicht. Du hättest laut posaunt dass du damit schon klar kommst und hättest nicht auf die Erfahrung verzichten wollen.” Lana stieg hinten auf der Kutsche auf und grummelte weiter vor sich hin. “Keiner mag Besserwisser!”
Sam ignorierte das gegrummel von hinten gekonnt und ließ die beiden Pferde antreten. Hinaus in den Regen, mit der neuen Kutsche, die sie erst vor ungefähr einem Monat gekauft hatten. Der erste Einsatz und sie würde schon schmutzig werden. Nun, daran konnte er nichts ändern. Wenigstens regnete es nur leicht und nicht zu schwer, die Regenoveralls sollten sie trocken halten.
Banham und Iris war der Regen egal. Gemütlich trotteten sie zur Arena, die normalerweise für Ritterturniere genutzt wurde und in der heute der Parcour aufgebaut wurde. Einfahrt, Grüßen der Richter. Soweit wie aus der Dressur bekannt. Dann zogen die beiden kräftig an und begannen zu traben, wie sie es vom Training her gewohnt waren. Sam nahm die Fahrleinen auf und gab den beiden den Befehl ruhig noch einen Zahn zuzulegen – schon waren sie durch das erste Hindernis hindurch.
Im Parcour wechselte der Fahrer geschickt zwischen Galopp und Trab ab, immer abwägend wie schnell er welche Wendung mit der Kutsche nehmen konnte. Der Sand war entgegen seiner Erwartung nicht rutschig, sondern schwer und gab der Kutsche noch einmal mehr Stabilität, was ihn dazu verleitete etwas rasanter um die Kurven zu fahren. Auch Lana legte sich ordentlich ins Zeug, das merkte er. Bei jeder Kurve half sie ordentlich mit und die Kutsche sauste mit einer Geschwindigkeit durch den Parcour, die Sam nicht für Möglich gehalten hätte.
Als sie schließlich zum abschließenden Check beim Tierarzt vorbeischauten, der die Tiere auf körperliche Unversehrtheit und auf etwaige Peitschenspuren untersuchte, wandte er sich an Lana. “Weißt du, irgendwie hat das sogar Spaß gemacht.” Auch Lana nickte bedächtig. “Ja, das war ganz nett da hinten auf der Kutsche drauf. Vielleicht können wir das ja öfter machen?” Sam sah die beiden Kaltblüter an, wie sie schnaubten und im Regen dampften. “Gerne. Allerdings, wenn wir wirklich in den Fahrsport einsteigen und tatsächlich Chancen auf Preise haben wollen, sollten wir uns vielleicht ein anderes Gespann zulegen. Die beiden sind glaub ich zu schwer und zu massiv um in der hohen Liga mitzurennen.” Lana nickte und grinste. “Ich habe gehört, Ponys machen sich da ganz gut!” Sam lachte. “Du und deine Ponys. Wenn wir nicht aufpassen haben wir bald mal mehr Ponys am Stall als Großpferde!” Was jedoch auch nicht so schlimm wäre, gestand er sich ein. Auch wenn sie für ihn zu klein waren zum reiten, Ponys waren doch irgendwo recht niedlich. Und Niedlichkeit konnte der Stall auf jeden Fall vertragen.
Sophie spürte so ein unangenehmes Ziehen im Nacken, als sie Gareth für die Springprüfung am Abend vorbereitete. Sie war sich jedoch absolut sicher, dass es nicht vom Regen kam, der schon das ganze Wochenende über herabtropfte und langsam aber sicher das Gelände schlammig werden ließ. Sie sah sich auf der Stallgasse um, konnte in dem Gewusel aber niemanden vom Stall ausmachen, was sie sehr erleichterte. Was ein Glück dass sei nur noch diese Saison mitritt und sich nächstes Jahr in die Babypause verabschiedete. Seitdem es einen Führungswechsel am Stall gegeben hatte, waren die Zügel ordentlich angezogen worden. Während es unter Codo eigentlich keine Rolle gespielt hatte, ob überhaupt auf Turnieren geritten wurde – Hauptsache die Pferde waren gesund – schlug Lana eine komplett andere Richtung ein. Auch wenn ihr die Platzierungen egal waren, so war es ihr wichtig, dass die Reiter des Hofes sich zumindest auf Turnieren blicken ließen.
Sophie seufzte und schnappte sich die Zügel ihres Hengstes. Ob sie in der Babypause wenigstens dazu kommen würde herauszufinden, wer eigentlich der Veranstalter der EM war? Wenn sie nächstes Jahr denn überhaupt wieder stattfinden würde. Die Gerüchteküche kochte und von “Die European Masters wird es in 2025 nicht mehr geben!” bis “Die European Masters werden umstrukturiert!” war alles mit dabei. Sie lachte trocken als sie mit Gareth in den Regen hinaustrat. Fehlten eigentlich nur Verschwörungstheorien nach dem Motto “Die Aliens kommen und übernehmen die European Masters!” und dann wäre wirklich alles an Gerüchten dabei, was sich der Mensch so ausdenken konnte. Sie schüttelte den Kopf und saß auf. Bei dem Wetter würde sie am Ende ihres Ritts komplett durchweicht sein. Wenn nicht sogar schon am Anfang – sie spürte, dass die ersten Regentropfen schon die Reithose durchweichen. Jetzt wäre eine Reithalle schön gewesen, aber diesen Luxus gönnte die Turnierreihe seinen Reitern leider nicht. Schöne Orte, ja, aber das war auch schon alles. Wenn die Turnierreihe umgestaltet wurde, würden sich dann auch die Orte ändern, an denen man ritt? fragte sich Sophie, als sie auf dem Abreiteplatz ankam und begann Gareth aufzuwärmen. Es wäre zwar schön, mal an neuen Orten zu reiten, aber sie würde die alten Orte, die sie irgendwie liebgewonnen hatte, auch vermissen.
Gareth schien ihr zuzustimmen, denn als sie daran dachte, dass die EM die Austragungsorte ändern, schlug er aus und schnaubte unwillig. Natürlich gab es auch die Möglichkeit, dass er einfach nur den Regen nicht mochte, aber der andere Gedankengang erschien Sophie romantischer. Sie klopfte dem Hengst beruhigend den Hals. “Für dich müssen wir dann für nächstes Jahr dann auch noch einen Ersatzreiter finden!” fiel ihr ein. Denn egal ob die European Masters nun weiter gingen oder nicht, Gareth wäre mit einem Jahr auf der Weide nicht einverstanden. Er mochte es zu reisen und sich zu zeigen. Und diesen Spaß wollte ihm Sophie nicht nehmen.
Städtetrip. Das hatte sich Sam ja fein ausgedacht. Gut, zugegeben, Sophie hatte die Entspannung dringend nötig gehabt, aber es war ihr schwer gefallen, sich wirklich zu entspannen und nicht an zu Hause und die Arbeit dort zu denken. Und daran, dass sie an Silvester das letzte Mal für ungewisse Zeit bei den European Masters mitreiten würde. Auch wenn es ihr sehr gefallen hatte sich am Samstag in Duisburg umzusehen und gut zu speisen, sie war auch froh wieder nach Hause zu fahren. Beide hatten festgestellt, dass Städtetrips nichts für sie waren. Dann vielleicht lieber ein Wellnesshotel oder nur gut Essen gehen. Das lange Autofahren war auch nichts für sie, wenngleich Sam es unglaublich Spaß machte, mit einem der PS-stärkeren Autos aus dem Fuhrpark des Stalles unterwegs zu sein. Und im Porsche fuhren sie auch die höheren Geschwindigkeiten sehr ruhig und bequem, wenn es die Autobahn zuließ.
Sophie hatte die Möglichkeit im Beifahrersitz ganz bequem die Autos zu beobachten, die sich auf der Gegenseite wilde Fahrmanöver erlaubten, denn Sam musste gerade mit einem entnervten Grummeln mal wieder runterbremsen, da vor ihnen gleich drei LKWs meinten einander überholen zu müssen. Da entdeckte Sophie auf der Gegenfahrbahn ein ihr nicht unbekanntes Logo auf einem Pferdeanhänger. “Ach guck, die Bocholtz sind wohl auf dem Weg von einem Turnier zurück nach Hause?” Sam überlegte kurz. “Ja… Tyra hat was erwähnt von wegen Springturnier…” murmelte er und war schon wieder auf den Verkehr konzentriert, als Sophie hörbar die Luft einzog und dann auch noch hielt. sie beobachtete, wie der Pferdetransporter der Bocholtz zum überholen einer LKW Kolonne ansetzte, die deutlich zu langsam unterwegs war. Doch zeitgleich scherte der LKW vor ihnen aus ohne auch nur einen Blick auf das Geschehen hinter ihm zu werfen. Sophie vernahm nur quietschende Bremsen, und einen laut hörbaren Knall der durch Mark und Bein ging. Der LKW musste ein wirklich schwerer sein, denn mühelos hielt der dem Pferdetransporter stand, der in ihn reinfuhr und dann zur Seite, Richtung Leitplanke abdriftete. Sie spürte, wie der Sicherheitsgurt sie davon abhielt, durch die Windschutzscheibe zu fliegen. Sie hörte ihren Verlobten neben ihr fluchen wie sie ihn noch nie fluchen gehört hatte und erwischte sich dabei wie sie automatisch, ohne darüber nachzudenken, mit dem beten begann, während der Porsche viel zu langsam abbremste und der Pferdetransporter durch die erste Leitplanke brach. Sie hörte sich selber laut aufschreien, als ein Ruck durch das Auto ging und sie von hinten nochmal angeschoben wurden, sodass Sam nun die Kontrolle über das Auto komplett verlor. Mit voller Wucht raste der Porsche in die Leitplanke, die dem kleinen Auto jedoch stand hielt, während sich der Pferdetransporter gefährlich näherte und nur wie durch ein Wunder direkt vor dem Porsche zum stehen kam.
Die unwirkliche Stille wurde schnell durch die Geräusche von außen verdrängt. Sie hörte jemanden nach der Polizei rufen und hörte den Fahrer des Wagens brüllen, was Sam einfallen würde, so urplötzlich zu bremsen. Ihr Mund wurde trocken. War Sam Schuld? Sie versuchte sich daran zu erinnern, was sie gelernt hatte. Man durfte nicht urplötzlich mitten auf der Straße zum Stillstand kommen ohne dass ein Grund vorlag. Aber musste man nicht auch so viel Abstand zum Vordermann halten, dass man eben nicht auffuhr? Klopfen an der Beifahrertür. Ein fremdes Gesicht. “Geht es ihnen gut?” Schnauben von außerhalb. “Also wenn der was passiert ist, fress ich nen Besen.” Die Stimme kannte sie. Einer der Bocholtz. “Und schade isses um sie auch nicht. Hat reiterlich eh nix drauf.”
Das war zu viel. Sophie schnallte sich ab und stürmte aus dem Auto. Sie hatte schon lange niemanden mehr geschlagen, aber Milan hatte es einfach verdient. Sie setzte an und verpasste dem eh schon mitgenommenen Milan noch einen ordentlichen Kinnhaken. “Du Arschloch. Du meinst auch nur, weil dein Papi gute Pferde hat, kannst du dir alles erlauben!” Sophie bebte vor Wut und sie wusste, dass sie ihn nur zum Schweigen bringen konnte indem sie ihm mutig entgegen trat. “Ich hab so die Schnauze voll von deiner Großkotzigkeit. Du hast bisher einfach nur Glück gehabt, dass wir die Turniere vermieden haben auf denen ihr auch wart weil wir keinen Bock auf eur blödsinniges, arrogantes Getue hatten. Das ist jetzt vorbei. Der Mühlenhof braucht sich nicht zu verstecken und wird es auch nicht mehr! Der Mühlenhof fordert den Reitstall Bocholtz ganz offiziell heraus, du wirst schon sehen, dass dir deine Arroganz auf dem Platz auch nicht weiterhilft!”
Der Unfall war bereits zwei Tage her und Sam und Sophie waren wieder sicher auf den Mühlenhof zurückgekehrt. Das Auto hingegen war noch in der Werkstatt, wo man das bestmöglichste versuchte, den Wagen zu retten. Sophie und Sam waren mit leichten Prellungen vom Airbag davongekommen und konnten es immer noch nicht fassen, dass der Unfall nicht nur für sie, sondern auch für Bocholtz so gut ausgegangen war.
Was Sophie ebenfalls nicht fassen konnte, war, dass Lana bisher kein Wort über den Unfall verloren hatte. Sie hatte sich nur danach erkundigt ob die beiden gesund waren und deren Heimreise organisiert. Sophie hatte Bauchgrummeln als sie die offene Küche betrat und Lana erblickte. Würde jetzt die erwartete Standpauke kommen?
Doch Lana schnappte sich nur einen Keks zu dem Tee den sie sich frisch aufgebrüht hatte.
“Sophie! Du siehst ja ganz bedrückt aus! Ist alles in Ordnung?” erkundigte sie sich mitfühlend als sie Sophie erblickte, die auf sie unruhig und ungewöhnlicherweise sogar etwas verängstigt wirkte. “Na ja…” Sophie knotete die Finger ineinander. “Komm, setz dich und erzähl mir was los ist.” Lana schnappte sich Sophie und bugsierte sie in das kleinere Kaminzimmer, das im Erdgeschoss des großen Hauses zu finden war. “Also, was ist los?”
Sophie seufzte und nahm neben Lana Platz. “Krieg ich denn keinen Ärger, weil ich Milan geschlagen hab?” Lanas Augen wurden groß und beinahe hätte sie sich an ihrem Keks verschluckt. “Nein, wieso? Der arrogante Mistkerl hat’s verdient.” Sophie schluckte “Und dass ich im Namen des ganzen Hofes Milan und seine Familie herausgefordert hab? Ich mein, das war echt unüberlegt und Codo hätte mir dafür ordentlich den Kopf gewaschen.”
Lana nickte. “Ja, das hätte er. Aber ich bin nicht Codo.” Sie stand auf und stellte die Teetasse beiseite. Dann drehte sie sich zu Sophie um. “Ich versteh, dass es dich irritiert, dass ich so anders als Codo bin, immerhin wollte ich immer in seine Fußstapfen treten. Aber – ich wollte nie ein weiblicher Codo werden.” Sie nahm wieder Platz und wählte ihre Worte sorgfältiger aus als sonst. “Weißt du, früher, da war das alles so anders. Wo ich jünger war, da hatten wir so viel Spaß. Wir waren ne verrückte, bunte Truppe die nirgends reingepasst hat, die auch ab und an angeeckt ist. Ein Stall der so anders war als alle Ställe dies so gibt. Jeder erzählt mir, dass die Zeiten vorbei sind. Dass wir uns anpassen müssen, um bestehen zu können. Ich will das aber nicht. Wenn andere damit glücklich sind in der Masse zu verschwinden, dann ist das ihr Lebensweg, nicht meiner. Ich will einfach nur ich selber sein und Spaß bei meiner Arbeit haben.” Sophie nickte. “Ich hoffe nur dass du damit nicht auf die Nase fällst.” unkte sie. “Und? Dann fall ich eben auf die Nase. Hinfallen, fluchen, aufstehen, Krönchen richten, weiter gehts.” Sophie war zugegebenermaßen beeindruckt von der Leichtigkeit, mit der Lana vorhatte, den Stall zu führen. “Und wie passt da Bocholtz als Rivale rein? Das steht irgendwie schon konträr zu der Aussage, dass dir Siege egal sind.” Lana lächelte verschmitzt. “Überhaupt nicht! Weißt du, so einen Wettbewerb, wer der besseres Stall ist, der wird nicht nur darüber geführt, wie viele Schleifen du mit nach Hause bringst. Da ist so viel mehr dabei. Wie geht es deinen Pferden, wie geht es deinen Reitern? Wer hat die spannenderen und fesselnderen Geschichten zu erzählen? Wer hat welche Freunde und Partner im Hintergrund? Welche Sponsoren hast du als Stall, als Reiter? Und nicht zuletzt darfst du das Ganze nicht so verbissen sehen, denn hier geht es nicht um Geld, Macht oder Ruhm. Da geht es alleine um den Spaß, den es macht andere auszustechen, ihnen unter die Nase zu reiben, dass man heute besser war oder dass der eigene Auftritt spektakulärer war. Es geht darum zu sehen, wie weit man kommt mit den Möglichkeiten, die man zur Verfügung hat.”
Sophie ließ die Worte sinken. Wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtete, hatte Lana schon Recht. “Diese Einstellung ist aber auch gefährlich. Auch wenn da so viele Faktoren reinspielen, es könnten auch noch andre Ställe auf die Idee kommen, in das Spiel mit einzusteigen. Was machst du, wenn diese noch verrückter sind als wir? Wenn diese die besseren Geschichten auf Lager haben und du einfach keine Chance hast, gegen diese Ställe anzukommen? Bist du dann auf Dauer nicht frustriert?” Lana nickte. “Das ist ein sehr guter Einwand. Aber ganz ehrlich – lass sie kommen. Denn es geht mir nicht um das Endergebnis. Es geht mir darum, auf dem Weg Spaß zu haben und möglichst vielen Leuten ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Ich will mitreißen, ich will begeistern. Ich will, dass die Leute es gar nicht abwarten können, Neues vom Mühlenhof zu hören. Und je mehr Leute da mitmischen, desto mehr Spaß hab ich und desto mehr kann ich erleben. Und verrückter als wir? Verrückter als du, die ihrer eigenen Schwester das von der Weide weggeklaut hat? Ich glaub, das wird schwierig.”